23. Etappe: Vancouver – San Francisco – Schlaftrunken in Seattle

Die amerikanische Grenze ist nicht weit entfernt von Vancouver. Es stehen gleich mehrere Grenzübergänge zur Verfügung. Die durchschnittliche Wartezeit wird durch Infotafeln angezeigt. Da ich eh nicht weiß, wie ich zu den anderen Übergängen kommen soll, fahre ich einfach geradeaus und erwische zufällig den mit fünf Minuten Wartezeit, während die restlichen mit mindestens 30 Minuten angegeben waren.

Selbstredend, dass JEDER auch zu diesem Grenzposten fuhr und die Wartezeit ebenfalls auf eine halbe Stunde hochschraubt. Egal, ich bin ja nicht auf der Flucht. Noch nicht. Wie bei sämtlichen Grenzkontrollen auf meiner Reise kann ich auch diesmal den 5 $-Schein zum Schmieren stecken lassen… 😉 Hätte mich doch auch etwas verwundert, wenn ich ihn jetzt hätte zücken müssen. Die Grenzbeamtin prüft nur, ob meine Maschine als gestohlen wurde und ich darf weiter. Wenn ich schon mal hier bin, teste ich doch gleich mal die amerikanische Küche. Ich habe Hunger. Nächste Ausfahrt raus und bei einem Geister-Outlet-Center in eines der unzähligen Juwelen der schnellen Küche. Selten gut. Ich sitze keine fünf Minuten, da bemerke ich, wie sich zwei Männer sehr interessiert über meine Maschine unterhalten. Ein kurzer prüfender Blick über die Schulter zu den Herrschaften und ich gehöre zum Gespräch. Als sie feststellen, dass ich aus Deutschland bin (mein Akzent ist zu verräterisch), folgt eine Lobeshymne über Deutschland im Allgemeinen und BMW-Motorrädern im Speziellen. Dann geht es weiter von einem schönen Sonnenuntergang begleitet.

Noch in Vancouver bekomme ich den Tipp der besten Strecke, die man mit dem Motorrad fahren MUSS. Einmal um Mount Rainier herum, durch eine Wild-West-Stadt, wie sie im Bilderbuche steht und ab zur Unterkunft.
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Dort sollen Pakete mit ein paar nützlichen Dinge für die Reise durch die USA warten. Es ist schon spät und kalt…und laut. Eine Polizeisirene nähert sich von hinten. Also rechts ran und die mobile Disco vorbei lassen. Die will aber nicht. Sie will mich. Zu Recht, wie sich herausstellt. Das Rücklicht, das in Kanada schon verrückt gespielt hat und ich eigentlich in Vancouver vor Abfahrt gerichtet hatte, funktioniert gar nicht mehr. Das Blöde ist nur: Es ist stockfinster. Da es ein LED-Rücklicht ist, ist die Fehlersuche nicht unbedingt sehr einfach. Ersatzbirne einsetzen ist nicht. Der Ruf der amerikanischen Polizisten eilt ihnen voraus und ist nicht unbedingt positiv. Scheinbar habe ich Glück, denn der kontrollierende Beamte ist die Ruhe selbst und leuchtet mir kommentarlos mit seiner MagLite, damit ich den Fehler finden kann. Aber die Suche ist erfolglos. Mal geht das Rücklicht und ohne etwas zu ändern wieder nicht. Dann schaut er mich an und fragt, wie weit ich es denn heute noch habe. Ich hab keine Ahnung und nenn ihm den Ort der Unterkunft, der südlich von Seattle liegt. Na, das seien ja nur noch 20 Meilen. Ich soll einfach dort hin, sehr vorsichtig sein und hoffen, dass keine weitere Polizeikontrolle mehr kommt. Denn wenn ich durch Russland problemlos kam, will er jetzt nicht, dass ich in den USA Schwierigkeiten habe. Klingt gut. Mach ich. Und los und schon da. Am nächsten Tag einen Multimeter und einen Lötkolben kaufen und die Suche beginnt. Es dauert nicht lang und ich entdecke einen Kabelbruch am Vorwiderstand der LED-Einheit. Schnell löten und gut. Na, dann kann ich jetzt nach Seattle rein und auf dem Rückweg an Mount St. Helen, den explodierten Berg, vorbei. Nur noch mal eben hinlegen, so für ne halbe Stunde oder so. Acht Stunden später wache ich auf und verwerfe den Plan mit Seattle. Aber St. Helen könnte noch klappen.

Eine schnelle Runde und ich merke, wie mich das Bett ruft. Am nächsten Morgen soll jetzt aber wirklich die Tour nach Seattle klappen. Wenn da nicht so eine andauernde Müdigkeit wäre. Also nur mal kurz dösen, Wecker ist ja gestellt und … verschlafen. Ich wache auf, als es schon wieder dunkel ist. Naja, morgen ist ja auch noch ein Tag…den ich verschlafe. Oje, das ist doch nicht normal!? Aber das war’s. Von jetzt an bin ich wieder ein ausgeschlafenes Kerlchen. Ab nach San Francisco über die Küstenstraße entlang. Im Redwood Park sehe ich so riesige Bäume, in denen mein Motorrad problemlos einparken könnte.
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Die schönste Strecke an der Küste entlang ist die 101, außer in Kalifornien, da soll man die 1 nehmen. Natürlich verpasse ich die Abfahrt. Also die nächste Gelegenheit nutzen, zu wenden. Dort stehen zwei Motorradfahrer, die nicht gerade glücklich aussehen. Es sind Leeta und Kevin, ein Ehepaar aus der Nähe von San Francisco. Der Bremssattel von Leetas Triumph ist in Rauch aufgegangen. Diese Kombination aus geschmolzenem Metall und Plastik blockiert das Hinterrad.
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Der amerikanische Automobilclub AAA bietet an, die Triumph zur nächsten Stadt zu bringen. Allerdings wollen sie dafür 900$. Ein bisschen happig, zumal die Maschine noch nicht bei ihnen zu Hause wäre, mindestens 200km entfernt. Das Einfachste wäre, den Bremssattel zu demontieren und vorsichtig nach Hause fahren. Da sie nur ne Tagestour vor hatten, haben sie aber kein Werkzeug dabei. Na, vielleicht kann ich ja helfen. Es ist nicht gerade einfach und ich muss einiges improvisieren, aber irgendwann ist der Bremssattel unten. Somit kann Leeta ohne Hinterradbremse weiterfahren. Spontan laden sie mich ein, bei ihnen zu bleiben, solange ich will. Gerne. So könnten wir ein Dreiergespann machen und Leeta in die Mitte nehmen. Nein, das will sie nicht, außerdem MUSS ich die 101 fahren, wenn ich schon da sei. Das sei die beste Strecke. Nach längerem hin und her, willige ich ein und ziehe alleine los Richtung San Francisco. Für abends haben wir uns dann bei ihnen verabredet. Die Strecke ist absolut fantastisch. Kurvenreich, toller Ausblick und relativ wenig los.
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Regelmäßig halte ich an, um Bilder zu machen. Unterwegs treffe ich einen Deutschen, der mit dem Fahrrad die Panamericana fährt. Er macht ein paar Bilder von mir, während ich fahre. Klasse! Actionbilder!
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Da leg ich noch was drauf! Ich leg die Maschine mal hin: Plopp. So elegant wie ich, kann das kaum einer. Beim Wenden war ich einfach zu ungestüm. Naja, ist ne kleine Erinnerung an die Mongolei. Aufrichten, aufsitzen und weiter. Die Fotopausen halten auf. Dadurch komme ich erst nach Sonnenuntergang an der Golden Gate Bridge an. Ganz allein kann ich die Aussicht auf die berühmte Brücke genießen. Für kalifornische Verhältnisse ist es halt einfach zu kalt.
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So, und jetzt zu Leeta und Kevin, die mit einem großen Steak mit Ofenkartoffel auf mich warten. Bis weit in die Nacht sitzen wir bei einem Glas Rotwein, naja, vielleicht auch drei Gläser, zusammen und erzählen von unseren Motorradtouren. Leider war der Rückweg für Leeta nicht so problemlos wie erhofft. Bei einer Autoschlange vor einer roten Ampel zieht sie rechts vorbei und übersieht einen breiten Riss in der Straße. dort fädelt sie ein und der Vorderreifen steckt fest. zeit für Motorradakrobatik. der Abgang ist etwas unkontrolliert und die Maschine hat ab sofort eindeutige Erkennungsmerkmale. ihr selbst ist außer Schrammen nichts passiert. Wenn man mal Pech hat.

Die nächsten zwei Tage erkunde ich San Francisco und die nähere Umgebung. Silicon Valley steht ebenso auf dem Programm wie die Stanford Universität. Naja, beides ganz nett, aber viel zu sehen gibts da nicht. Sind eher von dem Kaliber: Jetzt hab ich das auch mal gesehen. Haken dran. Erledigt.

Wobei ich durch Martinas Hilfe im Silicon Valley spontan eine Führung bei einer innovativen Consultingfirma erhalte. Das innovative sind nicht nur die Produkte sondern das Arbeitsumfeld. Da fungiert ein alter VW-Bus als Besprechungsraum und ein Baumhaus als Arbeitsplatz. Schon nett. Zumindest netter als beim angebissenen Apfel. Leeta schaut für mich im Internet nach, wo man als Besucher am besten hin geht. Fälschlicherweise liest sie etwas von einer Führung. Also frage ich dort nach. Ein angehender Langzeitstudent, der ja schon alles in seinem Leben erreicht hat, da er bei DER Firma arbeitet, kanzelt mich schwer arrogant ab. Nein, ich komme nirgendwo rein, egal woher ich komme, wie weit ich gefahren bin. ER kommt überall rein. Und seine Freunde auch. Wenn ich niemanden hier kenne, brauch ich gar nicht herkommen. Naja, ich kann ein paar Merchandise-Artikel kaufen und verschwinden. Zu blöd, dass ich zuvor schon etwas ausgesucht und bezahlt hatte. Tja, kann man nix machen. Ist halt wie in Kasachstan: Kennste jemanden, biste Gott. Kennste niemanden, biste egal. Und dann kam ne chinesische Reisegruppe, die eine Silicon-Valley Bus-Tour zu den großen Firmen machten und die bekommen Stifte, Aufkleber und Rabatt auf alles andere, weil sie ja so ne weite Anreise hatten. Gute PR funktioniert anders. Ein Praxisfall wie aus dem Studium. Aber das passiert, wenn man meint, es nicht mehr nötig zu haben. Na, dadurch lass ich mich nicht verstimmen. Ein echter Höhepunkt wartet auf mich: Der Yosemite Nationalpark. Aber zuvor noch Leeta und Kevin verabschieden, die mich beherbergt, bekocht und unterhalten haben.

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