12. Etappe: Aktau – Beyneu – Chiva – Road of Hell II & III

Jetzt soll es endlich nach Usbekistan gehen. Wird auch Zeit. Mit Stéphane habe ich ausgemacht, uns nachmittags zu treffen, um die Asphaltstrecke bis hinter Shetpe zu machen. Dann können wir am nächsten Tag ausgeruht die berüchtigte Tour nach Beyneu angehen. Und dann nach Chiva.

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Am Vormittag will ich noch schnell ein paar Postkarten aufgeben. Also lerne ich die Vorzüge der kasachischen Post kennen. Alle beide.
1. Es gibt sie
2. Wenn man viel Geduld hat, und den Postangestellten erklärt, was sie machen sollen, kann man tatsächlich Post aufgeben
Die Taxifahrerin hat mich zuvor wohl wissentlich zu DHL gebracht. Allerdings wollten die pro Postkarte 70 US-$. Zwei Stunden später war ich dann mit den Nerven am Ende, aber überglücklich meine Postkarten erfolgreich (??) aufgegeben haben zu können.
Auf zu Pastoets Garage. Stéphane abholen und Kilometer machen. Zwischen Shetpe und dem großen Stück Hölle, liegt eine ca. 25 km Kostprobe mit anschließend 20 km Asphalt. Das kriegen wir doch hin!? Dann weiß Stéphane, was ihn erwartet und wir kommen am nächsten Tag richtig früh in Beyneu an. Klingt nach nem Plan. Irgendwie mag aber die Verzurrung von Stephanes Gepäck die holprigen Stellen nicht. Alle 2 km bleibt er stehen, um alles neu fest zu ziehen. Da ich vorfahre, muss ich jedes Mal umdrehen und zurück rollen. Nicht so einfach hier. Also lass ich ihn irgendwann vorfahren. Da seh ich, dass sein Spritzschutz wild seinen Namen auf allen Sprachen tanzt. Das sollte aber nicht so sein. Anhalten, nachsehen. Richtig fies gebrochen. Eine Schraube weggerissen, Haltewinkel ab. Leicht konsterniert steht er neben mir.
Der Spritzschutz muss ab, ansonsten landet er im Hinterrad.
Ja.
Das ist nicht gut.
Ja.
Ok. Schon verstanden. Ich mach das.
Dann verabschiedet er sich mehrfach hinter die Büsche, die es hier nicht gibt. Er sieht gar nicht gut aus. Oje. Er hat sich was eingefangen. Wir machen ne lange Pause. Dann will er unbedingt wissen, was er zum Frühstück hatte. Jetzt weiß ich’s auch. Dann geht’s sehr gemächlich weiter. Es wird schon dunkel. Na super, jetzt müssen wir bei der Raststelle übernachten, wo ich bereits bei der Hinfahrt war. Bei der keifenden Wirtin. Naja, ist ja nicht lang. WENN nachts nicht ein immenser Sturm aufziehen würde, der mal u.a. ganz schlank meine voll beladene Maschine umwirft. Da gibt’s kein Weiterkommen. Allerdings geht es mir morgens auch nicht wirklich gut. Jetzt habe ich sowas Ähnliches wie zuvor Stéphane, nur ohne Erinnerungsbedarf am Essen des Vortages. Der kleine Sohn der Wirtin schmeißt den Laden. Er kocht und bedient die wenigen Gäste. Die paar Lkw-Fahrer, die vorbei kommen sind extrem angespannt. Die Wirtin macht, was sie am besten kann: Schimpfen und Geld für alles verlangen. Wir sollen nicht nur die Übernachtungen bezahlen, sondern auch den Aufenthalt am Tag. Nix gibt’s. Für den Jungen gibt es einen BMW Aufkleber und die Sache mit dem Bezahlen hat sich erledigt. Abends lädt uns ein LKW-Fahrer auf Bier und Fleisch ein. Richtig schön schwer und fettig. Ja, genau das wollen jetzt bestimmt unsere Mägen. Gemüse gibt es hier nicht. Höchstens als Deko und die darf nicht gegessen werden. Er erzählt vom Afghanistankrieg, als er bei der Roten Armee war. Er zeigt uns seine Verwundungen und seine Tattoos, die er sich im Gefängnis nach so manchem Fehler in seinem Leben hat stechen lassen…und Bilder von seiner Frau und seinem „Baby“, die ihn aus diesem Schlamassel heraus geholt haben. Jetzt hat er einen amerikanischen Truck und fährt jede Woche zwischen Aktau und Moskau bzw. St. Petersburg. Er scheint glücklich zu sein. Wir sind es auch. Er ist einfach klasse, unsere Mägen haben es doch ganz gut verkraftet und der Sturm legt sich.
Bevor ich ins Bett gehe, sehe ich in der Ferne einen vom Mond beleuchteten Sandwirbelsturm.

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Plötzlich erscheint ein heller Punkt am Himmel. Er wird immer größer. Daraus formt sich ein Dreieck, das hell leuchtet und anwächst. Was ist das? Würde jetzt eine Leiter erscheinen mit vielen kleinen Außerirdischen: Es würde mich nicht verwundern. Tatsächlich formen sich aus dem Dreieck ein Kreis und eine Ellipse, die im weitesten Sinne den Aufriss von Raumschiff Enterprise darstellen. Faszinierend. Ah, ok…der Auspuff des Sandwirbelsturms. Aber kreativ. Zugegeben.
Sehr früh geht es am nächsten Morgen los. Mein ABS-System scheint zu spinnen. Es blinkt wild aber macht nichts. Na vielen Dank. Egal, wir müssen jetzt los. Stéphanes 1200er Adventure liegt mit dem deutlich geringeren Gewicht und dem besseren Fahrwerk viel ruhiger auf dem abenteuerlichen Untergrund. Er legt eine Geschwindigkeit vor, die ich nicht andauernd mithalten kann, zumal ich sehr weit vorausschauend fahren muss, denn ohne ABS ist das Bremssystem ziemlich kastriert. Da kann man nicht mal eben stehen bleiben. In einem sandigen Part greif ich dann auch zu harsch in die Bremsen. Ich komme zum Stehen…ganz kurz. Dann will die Gravitation auch ihren Teil haben. 80 km vor Beyneu merke ich, dass mir so ziemlich sicher der Sprit ausgeht. Das erstaunt, denn ich hatte keine 100 km zuvor meinen Reservekanister schon in den Tank gefüllt. Außerdem sollte eine Tankfüllung allein problemlos bis nach Beyneu reichen. Aber das Reservelicht zeigt nun mal Reserve an. Und es sollte kein Fehler der Tankanzeige sein. Am nächsten Tag stieg dann mal der Spritverbrauch auf umgerechnet 40 Liter Benzin auf 100 Kilometer. Dazu später mehr.
An der nächsten Raststelle saust der Wirt mit mir über eine Sandpiste zum nächsten Dorf. Da hat er in seiner Garage mehrere Tonnen Benzin stehen. Zum Glück, denn jetzt komme ich garantiert ohne weitere Probleme nach Beyneu. Das Ganze dauert aber. Erst zum Abend hin sind wir dann endlich da. Stéphane will eine bessere Unterkunft als ich vorschlage. Willkürlich steuern wir durch die Stadt, um letztlich doch bei meinem Vorschlag zu landen. Dort kann ich den Fehler für den ABS Ausfall beheben: Beim Aufrichten der Maschine nach dem Sturm, drehte sich der rechte Handschutz um zwei Millimeter nach oben. Dadurch konnte der Bremshebel nicht mehr in die Neutralstellung ausfahren und das Bremssystem konnte sich nicht initialisieren. Aber die nächste Panne war schon in Vorbereitung.
Am nächsten Morgen sollte es nach Usbekistan gehen. Die Strecke zwischen Beyneu und der usbekischen Grenze ist schlichtweg eine Unverschämtheit. 😉 Ähnlich wie „Road of Hell“ aber nur 85 km lang. Dafür sind viele Gräben mit Sand gefüllt. Da bleibt dann auch gerne mal ein LKW stecken. Wieder gibt Stéphane die Geschwindigkeit vor. Wieder deutlich schneller, als mein Fahrwerk es her gibt. Später schlug er dann mal vor, dass wir Maschinen tauschen. Als er drauf saß, traute er sich nicht mal loszufahren …und seine Geschwindigkeitsvorgaben waren jetzt humaner.
Auf jeden Fall: meine Maschine + Sand = Spaß und Zeit zum Hinlegen
Diesmal war es aber ein Glücksfall, im wahrsten Sinn des Wortes. Beim Aufrichten fiel uns auf, dass doch ein wenig viel Benzin ausläuft. Beim Starten des Motors spritzt es unterhalb des Tankes sichtlich heraus. Es ist die Schnellkupplung einer Benzinleitung. Öffnen, nachsehen, verzweifeln.

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Die O-Ring-Dichtung hat es zerlegt. Sporadisch hinzupfen und zurück nach Beyneu zu einer Werkstatt. Auf den 20 km dorthin ergießen sich gesamt 15 Liter Benzin aus dem Tank, zum Großteil auf mein rechtes Bein. Es brennt höllisch. Wo es geht, setze ich das rechte Bein auf die Sitzbank und fahre so durch die Gräben.
Bei der Werkstatt werden verschiedene Ansätze versucht, da keine passende Dichtung aufzutreiben ist: Zuschneiden einer anderen Dichtung, Dichtpaste, Umwickeln mit Hanfgarn. Eine Mischung aus allem, dichtet die Kupplung ab. Erst mal. Für diesen Tag ist die Tour vorbei. Es ist mittlerweile Mittag und viel zu heiß.

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Um 6 Uhr in der Früh starten wir Richtung Usbekistan. Ein blödes Gefühl lässt mich nach 10 km anhalten, obwohl mein Stiefel diesmal nicht von Benzin getränkt ist. Das Gefühl bestätigt sich: Sichtlich tropft es wieder aus der Leitung. Ok. Zurück. Die Werkstatt hat noch geschlossen. Ich laufe herum und klopfe gegen das Garagentor. Ah: Leben. Aber nur im Ansatz. Es gab ne Feier am Abend zuvor. Sicherlich durch die Reparatur und der diskussionslos bezahlten (relativ hohen) Rechnung initiiert. Tja, jetzt sind alle dicht. Nur meine Benzinleitung nicht. Das muss sich ändern. Aber es dauert. Wieder versucht sich jeder. Dann kommt wohl der Mann für die aussichtslosen Fälle. Mitte 50, aus Usbekistan, relativ groß, sehr ruhig und: Hellblaue Augen. Was für ein Bild. Er schaut sich das Ganze an. Zaubert eine Dichtung aus seiner Hosentasche. Sie ist zu dick. Er nimmt eine Rasierklinge und säbelt einen Hauch von Gummi ab. Jetzt passt sie. Und sie hält. Zugleich ist er verschwunden, weswegen ich kein Foto mehr von ihm machen konnte. Stéphane erträgt das Ganze mit einer stoischen Ruhe. Er sagt kaum ein Wort und wirkt auch nicht böse.
Es kann endlich los gehen. An der usbekischen Grenze werden wir von den zig LKW-Fahrern hauptsächlich von der Spedition Willy Betz mit Winken begrüßt.

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Man lotst uns ganz nach Vorne. Was machen nur die Unmengen an deutschen LKW-Hänger hier? 😉 Tja, die Jungs in Kabul usw. wollen auch Chips und Schokolade. Da verwundert es nicht, dass ein Lieferschein an das Einsatzkontingent Kundus mit 100 Stangen Toblerone als Muster für die Zollerklärung am Grenzposten hängt.
Also eines ist sicher, wurde uns von allen garantiert: Wir MÜSSEN bezahlen, um nach Usbekistan zu kommen. Die Frage ist nur: Wieviel? Dann ist es soweit. Zollerklärung ausfüllen. Aber Papier ist geduldig. Wir sollen das gesamte Gepäck ins Gebäude schleppen und durchscannen lassen. Ne, kein Bock. Der Zöllner grinst. Ah, die Verhandlungen sind eröffnet. Ok, ich hol mal eine Tasche. …und, warum auch immer, meine Stollenreifen für die Mongolei. Die sind zwar neu, aber ziemlich eingestaubt durch die Wüstentouren. Irgendwie rutschen mir die dann am Tisch vom Zöllner aus der Hand. Es staubt. Sorry. Während ich mit meinen Armen den feinen Sand davon wedele, frage ich, ob ich den Rest auch noch holen soll. Er grinst verbissen, zwinkert und meint er habe genug. Stéphane trägt schön brav alles hinein, obwohl ich ihm sage, er kann aufhören.
Dann geht es auf Asphalt weiter. Nach 20 km kommen wir an eine der berüchtigten Polizeistationen. Wir müssen anhalten. Ein kleiner etwas stämmiger Mann kommt siegessicher auf uns zu. Ok. Jetzt müssen wir wohl doch dann das erste Mal bezahlen. Es kommen die Standardfragen: Woher? Wohin? Wieso? Dann will er sich auf meine Maschine setzen. Klar, nachdem er mich abgezockt haben würde, liese ich ihn nicht mehr aufsitzen. Kein Problem. Mach hin. Stéphane will das fotografieren, aber der Polizist lässt es nicht zu. Der Kollege soll es mit seinem Handy festhalten. Aber auf dem Seitenständer abgestützt ist nich männlich genug. Also Maschine aufrichten und plopp…zuviel Schwung. Tja, jetzt ist die grüne Uniform sandfarben. Dem Polizisten ist es unglaublich peinlich. Er hilft noch schnell mit, die Maschine aufzurichten und dann will er verschwinden. Ich halte ihn auf. „Na, das kann doch jedem passieren. Wir halten die Maschine.“ Begeistert lässt er sich mit Motorrad und uns ablichten. Wir dürfen (ohne Wegezoll) weiterfahren. Es geht weiter bis nach Nukus, wo wir uns eine Unterkunft suchen. Am Tag drauf, sehen wir uns Chiva an. Dort trifft Stéphane auf ein französisches Pärchen, die noch Mitfahrer für eine Wüstentour suchen. Hier trennen sich unsere Wege, denn mein Visum für Usbekistan läuft schon eine zeitlang, obwohl ich noch nicht im Land war, und ich muss rechtzeitig wieder raus. Na, vielleicht sieht man sich mal unterwegs oder in Europa.
Vielen Dank für die Hilfen beim Aufrichten meiner Maschine und der Geduld, die Pannen meiner Maschine mit zu ertragen!

Merci beaucoup et à bientôt, Stéphane!

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