13. Etappe: Chiva – Tashkent

Seit Tagen das erste Mal wieder allein unterwegs. Wie bei so vielem, gilt auch beim Reisen alleine: Keine Vorteile ohne Nachteile.

20120621-183840.jpg

Klarer Vorteil: Keine Kompromisse bei der Tourenwahl und -ausgestaltung.
Aber:
Mit wem unterhält man sich über die Erlebnisse des Tages?
Wer hilft einem jetzt beim Aufrichten der Maschine, wenn evtl. wieder kleine Beamte Umsturzambitionen hegen?
Wer erinnert mich als Nichtraucher an die Raucherpausen? Die Tankanzeige könnte das übernehmen. Das hatte sie Tage zuvor auch richtig gut drauf gehabt.
Mit wem teilt man die Aufgaben, die nun mal bei so einer Fahrt anfallen? Zu zweit ist es halt u.a. einfacher, die Maschinen zu tanken. Seit der Ukraine muss die benötigte Benzinmenge an der Kasse zumindest bestellt, teilweise auch zuvor bezahlt werden. Bestellt man zu wenig, muss man nochmal hin und nachordern. Bestellt man zuviel, hat man je nach Tankstelle entweder Pech gehabt und der Kassierer behält das zu viel bezahlte Geld, oder man erhält das Geld ordentlich abgerundet zurück. Letztlich ist es ein regelmäßiges Hin und Her zwischen Zapfsäule und Kasse. Da ist es schon gut, wenn währenddessen jemand auf die Maschinen aufpasst.
Egal, jetzt geht’s alleine weiter. Bin ja auch alleine gestartet. Schnell noch verabschieden, am Stadtrand tanken (das „gute“ 80 Oktan Gepansche, wenn es überhaupt Sprit gibt) und raus aus der Stadt. Bislang finde ich das als das Schwierigste bei dieser Reise. IN eine Stadt kommt man irgendwie immer. Das Zentrum, von wo aus man sich weiter orientieren kann, findet man auch relativ gut. Aber aus einer Stadt in die richtige (!!) Richtung hinaus, ist nicht immer so einfach. Es gibt so gut wie nie Wegweiser. Die Leute auf der Straße wissen ziemlich selten, wohin es zur gewünschten Stadt geht. Das hindert natürlich niemanden daran, einem einen Weg zu zeigen. Jede dritte Wegbeschreibung ist dann auch richtig.
Aus Chiva geht es ziemlich gut. Die zweite Tankstelle, die ich anfahre, hat tatsächlich Benzin. Irgendwie scheint meine Anwesenheit auch andere Spritsuchende anzuziehen. Eben noch der Einzige, bildet sich schon eine Schlange, während ich den Tankrucksack abnehme. Ich bestelle 30 Liter. Der Fahrer neben mir protestiert: So viel kann gar nicht in einen Motorradtank reingehen, deswegen ist er zuerst dran. Das nenn ich ne Logik. Ich bleibe bei meinen 30 Liter. Der Fahrer hinter mir befürchtet wohl, dass es keinen Sprit mehr danach geben wird, deswegen legt auch er Protest ein und schnappt sich den Zapfhahn aus meinem Tank. Jetzt werde ich langsam sauer. Schließlich habe ich schon bezahlt und Pausenclown spiele ich ungern. Zapfhahn zurück und ungefähr zwölf erstaunte Gesichter sehen wie knapp 25 Liter in meinem Tank verschwinden. Die restlichen fünf Liter fülle ich in meinen Reservekanister. Der Fahrer hinter mir findet schnell zu seiner Hektik zurück und hupt von jetzt an bis ich die Tankstelle verlasse. Ich fange mir noch ein paar Schimpftiraden ein und tucker davon. Morgens noch ein Loblied auf die Freundlichkeit der Usbeken gesungen, stelle ich halt fest: Man kann hier auch anders.
Es geht nach Buchara. Erst durch unzählige Ortschaften, dann über eine Eisenbahnbrücke, die auch von Autos genutzt werden kann, über einen kupferfarbenen Fluss

20120621-183516.jpg
und dann 80 km lang schlechteste Straße mit Sandpartien.

20120621-183724.jpg
Obwohl relativ früh gestartet, komme ich kurz vor Sonnenuntergang im 500 km entfernten Buchara an. Die Suche nach dem Stadtzentrum erschwert sich, da es zwei gibt: Das historische und das neue Stadtzentrum.

20120621-183741.jpg
Nach längerem Suchen kann ich endlich die kleine Übersichtskarte aus dem Reiseführer zur Orientierung verwenden. Buchara hat viel zu bieten, weswegen ich drei Tage bleiben möchte. Etwas Erholung schadet mir sicherlich auch nicht. Ich quartier mich in eine neue Unterkunft ein, bei der ich der einzige Gast bin. Welch Luxus! Ruhe pur!
Am nächsten Morgen will ich die Stadt erobern. Es dauert keine hundert Meter, da werde ich von einer älteren Dame angesprochen, ob ich nicht eine Stadtführung haben möchte.

20120621-183633.jpg
Ich kann noch nicht einmal antworten, da fängt sie schon mit der Führung an. Zwischendurch verhandeln wir den Preis und den Umfang der Führung. Also zwei Stunden würde es dauern. Klasse, dann kann ich die Mittagshitze meiden, denn die ist hier unerträglich. Woher ich das schon am ersten Tag weiß? Die Führung dauerte letztlich 4,5 Stunden und ich fühlte mich wie frisches Dörrobst. Die letzten anderthalb Stunden bestanden aus:
„Nur noch diese Sehenswürdigkeit und dann sind wir fertig!“
„Wasser!“
Unabhängig davon war die Führung der absolute Hammer. Alles was Buchara zu bieten hat, zeigte sie mir und erzählte alles Wissenswerte dazu, auch Geschichten, die nicht im Reiseführer stehen. Sie kennt einen Wachmann einer alten nicht mehr betriebenen Medressa, weswegen ich die alten Gemäuer alleine erkunden darf. Über steile Wendeltreppen geht es bis zum Dach hinauf, von wo ich einen guten Blick über die Altstadt Bucharas erhalte,

20120621-183620.jpg
wieder hinunter in die ehemaligen Unterkünfte, wo ich den einen oder anderen Geheimgang durchkrieche.

20120621-183650.jpg
Ich muss eh mal wieder waschen, dann kann die Hose ruhig dreckig werden. Später schaut sie mich an, schüttelt den Kopf, packt mich an den Schultern, dreht mich um und streift mit den Händen den Staub von meinem Rücken. Oh…da hab ich mich wohl gegen eine Wand gelehnt. Klar.
Im kleinen Freizeitpark wartet die usbekische Mickey Mouse, die mich sogleich von hinten überfällt.

20120621-183709.jpg
Anschließend folgt eine lange Verbrüderungsaktion zwischen ihr und mir, bei dem intensives Umarmen die Hauptrolle spielt. …und das bei der Hitze. Ich beneide den Menschen in diesem Kostüm nicht um seinen Job. Mir ist jetzt schon unglaublich heiß. Auf jeden Fall ist jetzt mein Rücken wieder richtig sauber. Unterwegs kommen wir an einem uralten Hammam vorbei. Ach, warum eigentlich nicht? Ich vereinbare einen Termin inklusive Massage, bei der mir versprochen wird, dass ich mich danach wie frisch geboren fühlen werde. Ich kann mich zwar nicht mehr erinnern, wie ich mich damals fühlte, aber das ist doch mindestens ein weiterer Grund dort hinzu gehen: Der Erinnerung wegen.
Allzu viel Zeit bleibt mir nach der Führung nicht mehr, meinen Körper mit Flüssigkeit aufzufüllen, aber irgendwas muss ich ja zum Wegschwitzen haben. Schnell ne Flasche Wasser reinkippen. Ich habe das Gefühl, das Wasser verdunstet, bevor es meinen Magen erreicht.
Egal, rein in das Vergnügen. Schwitzen. Das kann ich draußen auch. Aber hier schwitzt man mit Stil. Dann kommt der Vollstrecker. Er scheint schlechte Laune zu haben, auch wenn er so lächelt…oder…ach egal.
Der Ansatz der Massage ist, jeden Muskel auf sein Maximum zu dehnen. Zum Glück habe ich intakte Gelenke, denn auch die werden hierbei maximal strapaziert. Wenn ich mich danach wie frisch geboren fühlen soll, dann fühle ich also just in diesem Moment die Geburt?! Ok, deswegen die Erinnerungslücke. Die zweite Geburt ist mehr eine Nahtoderfahrung und lässt sich vereinfacht wie folgt beschreiben: Er nimmt mich an meinen Haxen und schleudert mich willkürlich gegen die Wände, wobei er peinlichst darauf achtet, dass jede Stelle meines Körpers mindestens einmal getroffen wird. Irgendwann tanzt er auf meinem Rücken. Aha, das ist der Siegesrhythmus. Ist es nun vorbei? Nein, er sortiert meine Körperstücke und fügt sie sporadisch zusammen. Zum Glück hat er Erfahrung, denn ich kann ihm gerade nicht bei der Suche helfen. Der Kleber des Tages ist eine Honig-Ingwer-Paste, die bei größter (!!!) Hitze austrocknen muss. Nicht nur die Paste. Dann ist es vorbei und ich fühle mich…gut!…wie frisch geboren! … würde ich beinah in meinem neu gewonnenen jugendlichen Eifer sagen.
Zum Abschluss und gegen den unmenschlichen Durst gibt es eine frisch aufgebrühte Tasse Tee. Ihr Sadisten! Minutenlanges Warten auf eine trinkbare Temperatur, während man vor dem bisschen Flüssigkeit sitzt und es halb hypnotisierend anstarrt. Es kommen zwei Engländer rein. Sie wollen das Gleiche wie ich. Ich sage ihnen, wenn sie das Gefühl haben werden, sterben zu müssen, dann ist die Hälfte des Programms vorbei. Sie lächeln. Zwei Minuten später, noch während des Aufwärmens kommt einer und fragt nach Wasser. Die Masseure versprechen, welches zu kaufen. Keiner rührt sich. Kaum ist der Engländer verschwunden, lachen sie lauthals und erhöhen die Zeit, in der sie die beiden aus dem Dampfraum heraus holen, um fünf Minuten. Zurück ins Hotel. Von da an schlafe ich stundenlang. Den nächsten Tag verschlafe ich nahezu komplett. Zwischendurch sehe ich mir das Deutschlandspiel gegen die Niederlande unter freiem Sternenhimmel mit fünf Usbeken an.
Mein Motorrad steht beim Nachbarn im Innenhof. Ich will schnell nach dem Rechten sehen und das Meiste schon für die Abfahrt tags darauf verzurren. Zwei Wodkaflaschen später, glaube ich alles erledigt zu haben, was ich vorhatte. Unter anderem verhindern, dass meine Maschine gegen einen klapprigen Kia eines Bekannten eingetauscht wird. Einfach die Maschine im Hof von jemandem abstellen geht hier nicht. Nein, dafür muss man Trinken. Und zwar jedes Glas auf Ex. Wir stoßen an auf: BMW, Deutschland, Persien (beide sind keine Usbeken), die Frauen, meine Maschine, Deutschlands Sieg gegen die Niederlande, Deutschlands ganz bestimmten Sieg gegen Dänemark, Deutschlands ganz bestimmten Sieg im Viertelfinale, + Halbfinale, + Finale und auf den Sieg der Europameisterschaft. Keinem von uns fiel die Dopplung auf. Achja und auf Wodka und auf Bier. Dann wurde ich entlassen.
Es geht nach Samarkand. Herrlich unaufregende Strecke. Zwar heiß aber mehr nicht. 20 km vor Samarkand treffe ich Jacques wieder, den Franzosen, der seit 18 Jahren mit dem Fahrrad unterwegs ist. Er sieht nicht glücklich aus. Eine Felge ist bei „Road of Hell“ gebrochen. Entsprechend schwer geht es voran. Ich biete ihm an, Gepäck abzunehmen. Ne, er will nicht. Ok.
Jetzt will ich mal so ein Backpacker-Hostel ausprobieren, wo sich ALLE Individualreisende aus freien Stücken, durch Lonely Planet inspiriert, einquartieren. Samarkand ist groß, so ein Hostel klein und für Einheimische unbekannt. Kreuz und quer geht es durch die Stadt. Mehrfach fahre ich eine große Straße rauf und runter, weil selbst Polizisten nicht wissen, wo sich die gesuchte Straße befindet. Irgendwann will ich die Suche aufgeben und stehe vor dem Gebäude. Aha. Das Mekka der Individualisten. Ich bin mittlerweile zu der Überzeugung gekommen, dass nur die konsequente Weigerung einer Renovierung, die Missachtung sämtlicher Hygienevorschriften und die Abwesenheit jeglichen Komforts die Option zur Erwähnung in diesem Reiseführer als Backpacker-Tipp offen hält. Nun gut. So eine individuelle Reise muss Abenteuer bieten. Zu jedem Zeitpunkt. Wehe die Freunde und Bekannte zu Hause könnten den Eindruck gewinnen, man habe durch fließend Wasser auch nur den Ansatz von Zivilisation genutzt: Respekt hinfort! Ok, ich übertreibe. Bis zum Schluss finde ich aber nichts, was mich hierher wieder treiben lassen könnte. Klar, man trifft einige nette Leute aus der ganzen Welt (wenn die Welt nur aus Franzosen, Schweizern, Deutschen und Österreichern besteht), die Infos zur eigenen geplanten Strecke haben oder selbst Infos von einem abgreifen. Es ist ein Geben und Nehmen. Mehr nicht. Die Stimmung ist sehr entspannt. Zum Glück kein „mein Auto, mein Haus, meine Yacht“ Gespräche über die eigenen Touren. Das ist wirklich positiv. Ich treffe auf zwei schweizer Pärchen, die unabhängig voneinander mit dem Rad die Welt bereisen, ein Lübecker Ärztepärchen Anfang 30, die zwei Jahre lang jede unbeliebte Schicht übernommen haben, um jetzt drei Monate am Stück mit einem alten Bundeswehr-Jeep u.a. den Pamir-Highway zu bereisen. Ich bin der einzige Motorradreisende. Also wird es alleine weiter gehen. Im Schnelldurchgang sehe ich mir Samarkand an.

20120621-183805.jpg
Schade. Samarkand war eines meiner Hauptreiseziele, und jetzt habe ich nur einen Tag Zeit. Aber ich habe genug gesehen, um zu entscheiden, dass ich wieder her kommen werde. Ich decke mich mit getrockneten Obst, Cashewnüssen, gezuckerten Mandeln und Pistazien ein.

20120621-183931.jpg
Herrlich. So schmeckt Urlaub. Der ganze Basar ist ein Erlebnis.

20120621-184014.jpg
Aber ich muss weiter nach Tashkent. Auch hier: Strecke bedarf keiner besonderen Erwähnung, Backpacker-Hostel gänzlich unbekannt. Ein junger Mann im Anzug und in einem neuen Mercedes bietet mir an, mich hin zu führen. Gerne. Welch Wunder, dass es zuvor zur Angebetenen geht. Sie haben ein Date. Eventuell ist sein aufopferungsvolles Handeln mir gegenüber auch von Vorteil ihr gegenüber. Jetzt sollte Mann nur noch wissen, wo sich die gesuchte Straße befindet. Mal fahren wir da hin…dann wieder wo anders hin und wieder zur ersten Stelle. Sie hat genug gesehen und beschließt, dass ich bestimmt das Hostel alleine finden werde. Klar. Ich bin jetzt schon eine Stunde in Tashkent: Ich kenne Tashkent! Alle mir nach!
Es findet sich dann doch noch jemand, der mich wieder durch die Stadt führt und nach langem Telefonieren direkt vor dem Gebäude quasi absetzt. Aber das Hostel ist ausgebucht. Der junge Mann vor Ort kann nicht verstehen, dass ich keine weitere Unterkunft hier kenne und keinen Stadtplan habe. Denn beides beansprucht er für sich. Wie kann man nach Tashkent kommen ohne diese essentiellen Informationen? Letztlich empfiehlt er mir doch eine Unterkunft, die vom Reiseführer ganz galant als das „dunkelste Loch gesamt Zentralasiens“ beschrieben wird. Draußen treffe ich einen Neuseeländer, der diese Aussage sofort bestätigt. Ok, dann mach ich mich selbst auf die Suche. Eigentlich nicht schlimm, denn auch hier wäre ich der einzige Motorradreisende gewesen. Ich finde am anderen Ende der Stadt etwas. Am nächsten Tag erkunde ich Tashkent. Aufgrund der Hitze entscheide ich mich für die Metro. Meine Station ist die Kosmonautika.

20120621-183821.jpg
Unglaublich toll. Leider darf man nichts fotografieren, was durch die ständige Präsenz eines Polizisten auch gewährleistet wird. Die U-Bahnstationen sind nämlich auch Luftschutzbunker und somit Militärbereich. Nicht nur auf den Bahnsteigen ist Polizei, sondern auch bei den Eingängen. Jedes Mal muss ich mich ausweisen und mein Habseligkeiten vorzeigen. Keiner interessiert sich für meine AK47, meine Panzerfaust oder meine Mini-Atombombe. Alle stürzen sich auf meine mittlerweile erworbene Stadtkarte Tashkents. Ich glaube, die könnte ich gewinnbringend verkaufen.
Abends geht es ins deutsche „Brauhaus“, wo ich mir das Deutschlandspiel gegen Dänemark ansehen will. Aber leider haben sie nur Analogempfang, weswegen sie nur eine eingeschränkte Auswahl an Sendern haben. Lange Rede kurzer Sinn: Zwei Stunden dort, mit Versprechen des Managers das Deutschlandspiel zu zeigen, um dann zehn Minuten nach dem Anpfiff kleinlaut zugeben zu müssen, dass sie den passenden Sender nicht haben. Ok, dann Party allein. Wenigstens gewonnen. Bombenstimmung.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert