Canadian dream

Ein Schachtner auf einem Motorrad kann eigentlich nur durch zwei Schachtner auf zwei Motorrädern übertroffen werden. Also los. Zuvor Vancouver erobern, die Suspension Bridge überschreiten, Baumwipfel erklimmen, den Hafen erkunden und im Pub versacken. Aber dann.

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Zwei Wochen von Thomas Jahresurlaub und 3.300 Freikilometer der Leihmaschine wollen gut genutzt werden. Die Wahl der Strecke fällt somit einfach aus: Nur das Schönste und Beste bitte. Die kanadischen Rocky Mountains sind ideal, um mit dem Motorrad erkundet zu werden. Von Vancouver aus erst einmal eine einfache Eingewöhnungsstrecke, denn an die Leihmaschine muss man sich auch erst einmal gewöhnen, und das ein oder andere Jahr Motorradabstinenz muss auch noch abgeschüttelt werden. Thomas gelingt beides sehr schnell und wir entscheiden uns für kleine kurvenreiche Straßen.

Die erste Nacht verbringen wir in Kamloops, eine Stadt kurz vor den Rockies, was wir spätestens dadurch feststellen, dass wir am Stadtrand eine Elchkuh entdecken. Aber solch großen Hunger haben wir jetzt auch nicht. Wir ziehen weiter und gönnen uns einen bärigen Burger. So gestärkt fährt es sich leicht in die Berge.

Selbst der Highway wird immer schmaler und kurvenreicher, so müssen wir uns nicht groß nach Alternativen umschauen. Abends an einem Campingplatz werden wir dann mit österreichischem Englisch begrüßt. Kann man, muss man aber nicht mögen. Also schnell zur Muttersprache wechseln und ein paar Infos abgreifen.
Wie ist denn eigentlich die Bärensituation hier?
Super!
Puh. Erleichterung
Es gibt jede Menge! Manchmal kommt der ein oder andere auch zum Campingplatz. (Beweisfotos mit einem Schwarzbären an einem Baum geklammert hat er gleich parat.)
Erleichterung hinweg
Drei „Bear-attacks“ hat er schon selbst gehabt
Wir sind schier begeistert

Ich versuch mich als Bär, muss aber feststellen, dass sich die Bäume ohne Bärentatzen gar nicht so leicht bezwingen lassen. Das bringt uns nicht weiter.
Erst einmal Feuer machen, denn das mögen Bären gar nicht. Ein paar Würstl oben drauf, die von Bären gewiss genauso gemocht werden, wie von uns (aber wir sind schneller) und fertig sind die (beinah) Gourmet-Grillwurstsemmeln mit extra dunkler Kruste. Tja, „von der Flamme geküsst“ ist nicht für alle Speisen (insbesondere für Semmeln) von Vorteil. Egal. Da das Feuer irgendwann aus ist, schalte ich den Bärenschreck ein: Ich schnarche mittlerweile, wie mir Thomas am nächsten Morgen mit verschlafenen Augen begeistert mitteilt.
Wenn die Bären schon mal hier sind und wir auch, wollen wir dem Schrecken von Angesicht zu Angesicht begegnen. Und wenn sie sich nicht zu uns trauen, dann suchen wir sie auf…und wenn wir dafür so ein Touristenfang-Programm buchen müssen! Wir finden sie, egal wie gut sie sich verstecken! Wir teilen uns die Laderampe eines Geländewagens mit einem Husky und sausen so durch die morgendlichen Nebelschwaden.

Am Flussufer und dem Schiffsdock für die Erkundungstouren angekommen, ist sofort alles nur noch „awesome“!
Zwei Tickets bitte!
Awesome!
Zwei Kaffee bitte!
Awesome!
Pfannkuchen mit Erdbeeren bitte! (Es ist ein Touri-Programm…jetzt schaut nicht so!)
Awesome!

Na, und damit ist das Urteil über die Tour vorgegeben: Awesome! Und das meine ich auch. Der Nebel hält sich über dem Wasser noch etwas, um eine faszinierende Stimmung zu bieten und als Vorhang zu fungieren, um sich im richtigen Moment zu öffnen und den Blick auf die herrliche Natur frei zu geben.
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Es dauert etwas, bis wir den ersten Braunbären zu Gesicht bekommen, aber nach etwas Suche steht er (bzw. sie) am Flussufer bei der morgendlichen Prozedur: Futtern, trinken und zwei Krähen versuchen zu ignorieren, die ihr manchmal zu sehr auf den Pelz rücken. Letzteres gelingt nicht dauerhaft. Ein kurzer Blick zu uns muss als Gruß genügen, denn bis zum Wintereinbruch müssen noch so manche Kalorien angesammelt werden. Da werden dann fleißig die Steine von Insekten saubergeschleckt und der ein oder andere Grashalm geknabbert. Ansonsten bleibt die Bärendame unbeeindruckt, dass ihre Anwesenheit ein wahres Klick-Gewitter im Touriboot auslöst. Ist ja auch gut so.
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Ein Schwarzbär taucht am anderen Flussufer mehrere hundert Meter entfernt auf. Nix wie hin. Auch er hat nur Futtern im Sinn. Der Speiseplan ist in einem morschen Baumstamm versteckt, den er fein säuberlich zerlegt und von allem Ungeziefer befreit. Da haben Borkenkäfer keine Chance. Dann geht’s zu einem Wasserfall und entlang unberührter Natur zurück zum Bootssteg. Irgendwie klingt das alles unspektakulär, aber es war sehr schön, wenn nicht gar „awesome“.
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Je näher wir nach Jasper, einem Touristendorf höchster Ordnung kommen, desto kühler wird es. Die Landschaft bietet unglaublich viele Facetten von Seen, Flüssen, Wäldern und natürlich Bergen. Die Idee an einem Wochenende hier her zu kommen, hatten andere auch. Wir finden hier keine freie Unterkunft. Die Warteschlange vor dem Campingplatz ist lang. Sehr lang. Also entschliessen wir uns nach Hinton knapp 80 km weiter zu fahren. Dafür müssen wir durch noch mehr atemberaubende Natur. Naja, wir sind hart im Nehmen.

Erstaunt sehen wir Menschenmassen an der Straße, die sich direkt um einen stattlichen Hirsch mit seinem Harem versammeln. Die Hoffnung auf außergewöhnliche Bilder ist groß und der Abstand zum Geweih immer geringer. Ne, da bleiben wir besser fern. In Hinton angekommen, gestaltet sich die Suche nach etwas Essbarem zu einer richtigen Herausforderung. Zwar machen die meisten Restaurants auch hier um 22:00 zu, aber die restlichen Lokale sind an zahlender Kundschaft irgendwie nicht interessiert. Ist das eine Restaurant nur zur Hälfte voll, ist das noch lange kein Grund, einen Platz zu bekommen. Eine Stunde müssten wir mindestens warten. Warum? Keine Ahnung. Woanders bekommen wir zwar einen Platz, aber wir sollen doch bitte pro Person 10$ für die Übertragung eines Kampfes der UFC (Ultimate Fighting Championship) zahlen. Auja! Zusehen wie sich Typen ohne Regeln blutig schlagen und dabei herzhaft in einen (blutigen??) Burger beißen, klingt verlockend, wenn nicht gar ultimativ awesome. Wir verzichten und gönnen uns eine Suppe von der Tankstelle.
Eine heiße Quelle und der Maligne Lake verschlingen am Tag drauf mehr Zeit als erwartet. Auch hier: Natur as its best. Ich kann gar nicht mit Worten beschreiben, wie faszinierend die Landschaft dort ist. Man muss es selbst sehen.

 

Den Plan am selben Tag 300 km nach Banff zu fahren, streichen wir mal ganz schlank. Zum Glück finden wir diesmal etwas zum Übernachten in Jasper und können am nächsten Tag die Strecke ohne Zeitdruck genießen. Wir werden wählerisch. Das können wir auch, denn es gibt eine erhebliche Auswahl, z.B. an Gletschern. Der Athabasca-Gletscher ist beeindruckend. Man kann bis zum Gletscherrand ohne Führung hinlaufen und bis dahin den Rückgang im Laufe der Jahre nachvollziehen. Wenn es nur nicht so kalt wäre. Wie zwei Michelin-Männchen sind wir unterwegs. Weitere Gletscher betrachten wir von der Ferne. So mancher Gletscher und wir winken uns fiktiv gegenseitig wohl mit dem gleichen Gruß auf den Lippen zu: „Wir sind dann mal weg…aber wir kommen wieder!“ Thomas und ich gewiss etwas früher, während das Gegenüber bis zur nächsten Eiszeit warten muss.

Als wir in Banff ankamen, werde ich von einem vierjährigen Jungen aus Deutschland angesprochen. Er redet wie ein Wasserfall während ich noch damit beschäftigt bin, unfallfrei von meiner Maschine abzusteigen. Nochmal nachfragen, was er alles gesagt hat, bringt bestimmt nichts, aber ich glaube zu wissen, was er eigentlich will: Magst Du mal auf meiner Maschine sitzen? Er strahlt mich an. War doch klar. Egal wo auf der Welt: Kinderaugen bekommt man damit immer zum Leuchten. Und schon erklimmt er mit etwas mütterlicher Unterstützung die Weltreisewundermaschine mit eingebautem Alles.

Der Weg nach Banff lohnt sich. Nicht nur landschaftlich, sondern auch aus kulinarischer Sicht. Zwei Schachtner-Sterne für hervorragendes Essen und Service von zwei Michelin-Männchen…oder war es umgekehrt? Wenn das mal keine Auszeichnung ist!

Bevor das erste (und einzige) Mal auf der Tour der Regen richtig über uns hereinbricht, geht’s noch schnell auf den Sulphur Mountain, der am nächsten Morgen mit einer feinen Schneeschicht bedeckt ist. Das ist doch ein guter Zeitpunkt, um mal einen Tag Pause einzulegen, die kleinen Wunden zu lecken, Wäsche zu waschen und die lokale Wirtschaft anzukurbeln. Der Himmel über Banff hängt bei unserer Abreise schon sehr tief. Das Abo für gutes Wetter wird doch wohl nicht schon abgelaufen sein? Zum Glück springt die automatische Aboverlängerung unterwegs ein. Blauer Himmel und Sonnenschein mit ein paar wenigen, leicht aufgerissenen jedoch dekorativ angelegten Wolken umrahmen die Szenerie.

Den Nationalpark „Meadows in the Sky“ bei Revelstoke erreichen wir kurz vor Ende der Öffnungszeiten. Eigentlich könnten wir nur noch schnell die 20 km hoch fahren, den letzten Shuttle zum Gipfel erreichen, denselben Shuttle wieder zurück und dann schnell wieder durch die Schranke, meint der Angestellte. Na, das wollen wir sehen, ob wir das nicht schneller hinbekommen. Sehr schöne Kurven wollen schön gefahren werden und das dynamisch. Wir erreichen den Parkplatz, nehmen den Shuttle und haben eine halbe Stunde zum Umschauen. Zwar deutlich mehr als prognostiziert, aber viel zu wenig. Womöglich kann man hier stundenlang wandern und entdecken ohne einen Hauch von Langeweile aufkommen zu lassen.

Weiter nach Vernon. Auf der Suche nach den wenigen Sehenswürdigkeiten des Ortes, den überdimensionalen Wandbildern, fallen wir hungrig in ein Steaklokal ein. Ja. Das kann Kanada auch gut. Noch schnell den Weg zu den Bildern erklären lassen und dann nach einer halben Ewigkeit erfolglos die Suche abbrechen. Tags drauf stellen wir fest, dass wir eine Straße zu früh aufgegeben haben. Naja, waren aber auch keine Picassos. Die Landschaft ändert sich schnell. Leicht hügelig mit teilweise sehr weiter Sicht wird für diese Teilstrecke unsere Aussicht sein. Aber irgendwie sind wir doch ein wenig zu schnell insgesamt betrachtet. Wir haben noch ein paar Tage und sind kurz vor Vancouver. Also fahren wir auf die Insel Vancouver Island, die zwar vom Namen her so klingt, als wäre es eine kleine vorgelagerte Insel vor der Stadt, aber das täuscht. 500 km Länge und bis zu 100 km Breite sind nicht gerade klein. Perfekt getimt erreichen wir zum Sonnenuntergang die Fähre. Tolles Licht bei der Überfahrt, zumindest am Anfang, garantiert.

Als die Sonne wieder da ist, erkunden wir Victoria. Nette kleine Stadt, aber auch bei meinem zweiten Besuch, will der Funke einfach nicht überspringen. So entscheiden wir uns recht schnell zur Weiterfahrt und düsen über kleinste Ufer- und Waldstraßen. Die Zeit vergeht wie im Flug und schon befinden wir uns zwei Tage später, nachdem wir die halbe Insel durchkreuzt haben, auf der Fähre zurück nach Vancouver.

Der Stau auf der Lion Gate Bridge ist zwar nervig, aber dafür werden wir mit einer grandiosen Aussicht entschädigt. Dann durch die Hochhausschluchten Vancouvers gleiten und die Leihmaschine abgeben. Der Vermieter staunt nicht schlecht, dass wir nicht nur die gesamten 3.300 Freikilometer verprasst haben, sondern sogar noch ein paar Kilometer draufgelegt haben. Aber Thomas muss nichts nachzahlen. Da wir gemeinsam zum Hotel zurück müssen, leihen wir uns für einen extra Tag den Helm aus. Absolut irrelevant zu erwähnen, wenn ich bei der Rückgabe des Helmes nicht mal eben einen neuen Hinterreifen spendiert bekommen hätte. Die beiden Brüder, die die Verleihstation führen, sind von unserer Kanadarunde so begeistert und dann auch von meiner gesamten Reise, dass sie mir spontan anbieten, ihre Werkstatt zu nutzen. Den Hinterreifen zieht mir einer der beiden währenddessen mal eben auf. Awesome! Es gibt noch jede Menge Tipps für meine anstehende Etappe in die USA und zum Dank schmeiß ich fast eine Leihmaschine um. Das waren die ersten Anzeichen, einer großen Müdigkeit, die mich wenige Tage später komplett übermannt. Aber, Moment. Thomas habe ich noch gar nicht auf seine Heimreise geschickt. Na, so geht das ja gar nicht! Standesgemäß schließen wir unsere fantastische Tour in einer Sportsbar bei Fleisch und Bier ab. Es gesellt sich dann noch Ethan, ein ehemaliger Mitbewohner von Thomas seiner WG aus Studienzeiten dazu, der zur Zeit in Vancouver lebt. Der letzte gemeinsame Abend in der kanadischen Ferne verfliegt. So bietet Ethan an, uns zum Hotel zu fahren, was sicherlich auch gelungen wäre, wenn nicht mitten auf einer Brücke seine Kupplung den Geist aufgegeben hätte. Ein Zeichen! Es war schon gut, dass wir uns bei der Runde auf zwei Räder verlassen hatten. Mehr als den Wagen von der Brücke schieben, können wir nicht machen. Gemeinsam warten wir noch ne zeitlang auf den Autodienst, aber dann müssen wir los, damit wir nicht noch den letzten Skytrain zum Hotel verpassen. Morgens gemeinsam zum Flughafen, gemeinsam frühstücken und gemeinsam Abschied nehmen. Allein geht es für mich zurück. Ich hab ja noch was vor. Es war eine tolle Zeit!

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Danke für die heimischen Leckereien, die das Heimweh nicht zu stark werden lassen, die vielen interessanten Gespräche und die tollen gemeinsamen Erlebnisse.

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2 Antworten auf „Canadian dream“

  1. Grüß Dich Christian!
    Auch an dieser Stelle nochmals vielen Dank für Deine Geburtstagswünsche! Hab mich sehr gefreut, aber wie ich sehe, hast auch Du während deinen letzten Etappen wieder einiges erlebt. Wirklich geniale Geschichten mit genialen Bildern! Dir weiterhin alles Gute und viele Grüße – wo immer Du auch gerade bist 😉

  2. Yoah Chris, der Hammer war’s! Vielen Dank für diese geniale Tour durch die Rockeys, die Heilung meines Motorrad-Traumas und für dieses einzigartige Fototagebuch..
    jeder einzelne Kilometer war’s wert und Canada wird mich/ uns nicht zum letzten Mal gesehen haben, schätze ich.
    Viel Glück für den Rest Deiner Strecke..

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